Liao Yiwu arbeitet derzeit an einem Buch über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989.
(Foto: dapd)
Montag, 14. November 2011
"Eine große Ermutigung für mich"Liao Yiwu erhält Scholl-Preis
In seinem erschütternden Buch beschreibt der chinesische Dissident Liao Yiwu seine Zeit in verschiedenen Gefängnissen. Er wird gefoltert, von Wärtern und Mithäftlingen. Nach seiner Entlassung kann er schließlich nach Deutschland fliehen. Hier wird er nun mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.
Zum Dank verbeugte sich Liao Yiwu in der Großen Aula der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität mehrere Male. Der chinesische Schriftsteller und Dissident hat für sein Buch "Für ein Lied und hundert Lieder. Ein Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen" den Geschwister-Scholl-Preis erhalten. "Liao Yiwus Buch ist auch ein Buch über Beziehungen. Die Beziehung zu seinem Land, das man Heimat nennen möchte, und nicht kann", sagte die Laudatorin, Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller.
"Ich stehe beschämt vor den Geschwistern Scholl", sagte Liao Yiwu in seiner Dankesrede. "Das ist eine große Ermutigung für mich", hatte der Preisträger bereits bei einer Pressekonferenz gesagt. Dabei lobte er den deutschen Umgang mit der Geschichte und kritisierte die Haltung der USA gegenüber China. "Sie sehen China nur als Wirtschaftspartner", sagte Liao Yiwu. Nach der Verleihung trug er mit Flöte und Gesang ein chinesisches Klagelied vor.
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude schlug bei der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises den Bogen zur aktuellen Mordserie mit rechtsextremistischen Hintergründen - und kritisierte indirekt die Ermittlungsarbeit der Behörden. "Ein Staat, der so lange wegsieht, wenn rechtsextreme Gewalt einen Mord nach dem anderen begeht, der muss auch sich selbst in die Pflicht nehmen und nicht nur mit moralisch erhobenem Zeigefinger auf andere deuten", sagte Ude.
"Offizielle Folter und privater Sadismus"
In seinem Buch beschreibt Preisträger Liao Yiwu seine Zeit im Gefängnis zwischen 1990 und 1994. "Offizielle Folter durchs Gefängnispersonal und privater Sadismus in der Zelle zwischen den Gefangenen waren Alltag", beschrieb Müller. Zudem beschlagnahmten chinesische Behörden mehrfach seine Manuskripte, so dass er das Buch neu schreiben musste. Im Juni dieses Jahres konnte er sich nach Deutschland absetzen und sein Buch veröffentlichen. "Es war ein sehr schmerzlicher Prozess für mich", sagte Liao Yiwu. "Ich hatte Angst."
Der Geschwister-Scholl-Preis wird vom Landesverband im Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Kulturreferat der Stadt München verliehen. Er erinnert an die beiden Geschwister Hans und Sophie Scholl, die wegen ihres Widerstands gegen die Nazis am 22. Februar 1943 hingerichtet wurden. Liao Yiwu sei "ein großer Künstler und ein mutiger Chronist zugleich", hieß es in der Jury-Begründung.
Liao Yiwu über vier Jahre Haft und Chinas Wirtschaft"In China geht es nur ums Geld"
Wegen des Gedichts "Massaker" über die blutige Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Pekinger Tian'anmen-Platz wird der chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu 1989 verhaftet. Er kommt vier Jahre in Gefängnisse und Arbeitslager, erduldet Folter und Erniedrigung. Und er lernt Flöte spielen. Nach seiner Entlassung findet er ein verändertes China vor. Die Menschen haben die Helden von 1989 vergessen, dafür floriert die Wirtschaft. "Es geht nur noch ums Geld", sagt Liao im Gespräch mit n-tv.de. Und er spricht über sein neues Buch, in dem er seine Zeit im Gefängnis verarbeitet. Damit es nun - erstmals weltweit - in Deutschland veröffentlicht werden kann, muss er aus China fliehen. "Für ein Lied und hundert Lieder" ist ein drastisches und beklemmendes Dokument der chinesischen Diktatur. Damit auch deutsche Politiker das nicht vergessen, rät Liao ihnen, sich über chinesische Geschichte zu informieren.
n-tv.de: Sie sind jetzt seit einigen Wochen in Berlin. Sprechen Sie schon etwas Deutsch?
Liao Yiwu schreibt derzeit an einem Buch über die Studentenproteste 1989.
(Foto: dapd)
Liao Yiwu: Nur einen Satz: "Ich bin ein Berliner".
Ist es Zufall, dass Sie nach der Flucht aus China zuerst nach Deutschland gekommen sind?
Ursprünglich war das Zufall. Ich hatte Einladungen aus der ganzen Welt. Allerdings habe ich 14 Mal vergeblich die Ausreise aus China beantragt. Aber dann war ich auf einer Veranstaltung des deutschen Konsulats, wo ich den deutschen Menschenrecht*****eauftragten für Asien traf. Er übermittelte mir die Grüße von Kanzlerin Angela Merkel. Er sagte, man könne zwar nicht direkt etwas für mich tun, lud mich aber nach Deutschland ein. Das hat mich gerührt und ich schickte Angela Merkel einen Offenen Brief und eine chinesische Raubkopie des Stasi-Films "Das Leben der Anderen". Damit wollte ich Frau Merkel auch an ihre eigene Vergangenheit in der DDR erinnern. So konnte ich 2010 erstmals nach Berlin reisen.
Zu dem Zeitpunkt war Ihr Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser", in dem Sie Interviews mit Menschen aus der chinesischen Unterschicht führen, bereits in Deutschland erschienen. Hat Sie das überrascht?
Ja. Ich dachte immer, ich schreibe für chinesische Leser. Dass das Buch auch in Deutschland so gut angenommen wurde, war eine positive Überraschung für mich.
In Ihrem neuen Buch "Für ein Lied und hundert Lieder" schreiben Sie über Ihre Zeit in Haft. Wie schafft man es, nach vier Jahren Gefängnis und Arbeitslager, nach Folter und Erniedrigung, darüber ein Buch zu schreiben?
"Für ein Lied und hundert Lieder" ist im S.Fischer-Verlag erschienen.
Die Erinnerung an die Grausamkeiten ist natürlich schwierig. Aber andererseits war das, was ich erlebt habe, nicht so schlimm wie das Schicksal anderer Menschen, die nach dem Massaker auf dem Tian'anmen-Platz verhaftet wurden. Manche mussten 20 Jahre ins Gefängnis, andere wurden zum Tode verurteilt. Verglichen damit sind meine vier Jahre Haft keine große Sache. Zudem bedeutete das Buch für mich einen Wandlungsprozess. Zweimal wurden die Manuskripte von der Polizei beschlagnahmt, es musste also dreimal geschrieben werden. In diesem Prozess habe ich eine Wandlung durchlebt. Ich wurde vom Dichter zum Dokumentaristen von Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten.
Hat sich der Schwerpunkt in den drei verschiedenen Versionen des Buches verschoben? Ist es beim dritten Mal leichtergefallen?
Ganz im Gegenteil, eigentlich fiel mir die erste Version leichter. Ich konnte sie schneller schreiben, weil die Erinnerung noch ziemlich frisch war. Für das erste Manuskript brauchte ich etwa ein Jahr. Für die zweite Version brauchte ich schon fast drei Jahre. Das dritte Manuskript war dann sehr schwierig, da ich mich an einige Sachen nicht mehr so genau erinnern konnte. Aber es war ein gutes Training für mein Gedächtnis.